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«Ich wollte immer der Erste sein»


Pius Biedermann hat sich als Pionier in der Molkereibranche etabliert, indem er traditionelle Methoden hinterfragte und innovative Wege in der Milchverarbeitung beschritt. Mit seiner Übernahme der Molkerei in Bischofszell begann für den Familienbetrieb eine neue Ära.

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Pius Biedermann mit der Molkerei Biedermann im Hintergrund. Foto: Noëlle Fivaz und Claudia Jutz.

Wer durch das kleine Städtchen Bischofszell spaziert, dem fallen als Erstes die schönen Gärten und Gassen auf. Doch dieser malerische Ort birgt noch viel mehr. Denn Bischofszell ist ein Ort, wo Lebensmittel verarbeitet werden und damit die Nahrungsmittelindustrie beheimatet ist. Genau hier hat Pius Biedermann mit seiner Molkerei Geschichte geschrieben.

«In mir wuchs der Wunsch, mich selbstständig zu machen.»

Die Jugend von Pius Biedermann in diesem Städtchen war geprägt von der Suche nach Freiheit – der Milchbranche blieb er jedoch treu. Sein Weg führte ihn nach Lausanne, wo er eine Lehre als Käser und Molkereifachmann absolvierte. Doch das Fernweh liess ihn nicht los. Er bekam die Chance auf ein Praktikum in der eidgenössischen Forschungsanstalt in Liebefeld, Bern, die er auch ergriff. «Es war eine schöne Zeit, weit weg von zu Hause. Ich konnte machen, was ich wollte», erinnert sich Biedermann. Nach einem Jahr Praktikum kehrte er zurück, um die Prüfung zum Molkereimeister abzulegen. Danach arbeitete er als Produktionsleiter in einer kleinen Molkerei in Rorschach. Doch bald merkte er, dass ihm das nicht genügte. «In mir wuchs der Wunsch, mich selbstständig zu machen.»

Die Milch gehört zur Familientradition

1975 übernahm Pius Biedermann die väterliche Molkerei in Bischofszell, die schon seinem Grossvater gehört hatte, und läutete damit eine neue Ära ein. Unter seiner Leitung begann der Betrieb mit der Milchverarbeitung und spezialisierte sich auf Käseprodukte. «Unser Problem am Anfang war, dass wir keine Räumlichkeiten für die Produktion hatten», sagt Biedermann. Die Lösung fand er in der Käserei Leutswil, die er für die Produktion von Halbhart- und Frischkäse pachtete.

Doch Pius Biedermanns Vision reichte noch weiter. «Wir konnten die traditionellen Käsesorten nicht herstellen, weil wir mit Silomilch arbeiteten. Also mussten wir uns auf Neuland begeben», erzählt er. In den 1980er-Jahren entwickelte er die Frischkäsespezialität «Fruchtkäse», die bald über die regionalen Grenzen hinaus bekannt wurde. «Mein Ziel war es immer, Nischen zu finden, um die Milch möglichst lange haltbar zu machen. Mit dem Fruchtkäse ist uns das gelungen», erinnert sich Biedermann. Doch mit dem Erfolg kamen auch die Probleme. «Wir sind einfach viel zu schnell gewachsen», sagt er.

Pius Biedermann 2 Die Silos der Molkerei Biedermann sind eine effiziente und sichere Lagerung für grosse Milchmengen. Foto: Noëlle Fivaz und Claudia Jutz.

Bioproduktion und nachhaltige Zukunft

Ende der 1980er-Jahre begann Pius Biedermann mit der Produktion von Bioprodukten, lange bevor Bio zum Trend wurde. Sein Engagement für Nachhaltigkeit machte die Molkerei Biedermann zu einem Vorreiter in der Schweizer Milchwirtschaft. So wurde bei der Verarbeitung der Milch auf künstliche Aromen, Farbstoffe, Konservierungsmittel und andere synthetische Zusätze verzichtet. «Wir waren eine der ersten Molkereien in der Schweiz, die eine Biomilch-Lizenz lösten», erzählt Biedermann stolz. Der Auslöser war ein Bericht des Club of Rome gewesen, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt. Die darin beschriebene Umweltsituation, insbesondere die Luftverschmutzung durch die Industrie, hatte ihn zum Nachdenken gebracht. Die Umstellung auf Bio war daher ein logischer Schritt.

Pius Biedermann 5Stolz zeigt Pius Biedermann die Umgebung der Molkerei in Bischofszell. Foto: Noëlle Fivaz und Claudia Jutz.

«Wir hatten nie Angst vor Veränderungen»

Pius Biedermann erinnert sich noch lebhaft an die Anfänge der Digitalisierung in der Molkerei. Die erste Anschaffung war ein Computer. «Wir fühlten uns wie ein Spitzenbetrieb, auch wenn es ein riesiger Kasten war», erzählt Biedermann. Damit begann eine umfassende technologische Revolution in der Molkerei. Die Einführung von SAP-Systemen und die Automatisierung der Prozesse waren entscheidend. «Früher wurden die Daten manuell eingegeben. Jetzt wurde alles zentral vom PC aus gesteuert. Auch die Milch wurde nun von Maschinen abgefüllt – das war ein unglaublicher Fortschritt», erklärt Biedermann. Diese Veränderungen waren letztlich der Schlüssel zum Erfolg.

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Der Neubau der Molkerei ermöglichte die Automatisierung der Produktion. Foto: Molkerei Biedermann.

«Selbstverwirklichung war für mich immer sehr wichtig»

2010 zog sich Biedermann aus dem aktiven Geschäftsleben zurück und übergab die Leitung seiner Molkerei an die Emmi Gruppe. Doch sein Vermächtnis lebt weiter – nicht nur in den Produkten, die noch immer seinen Namen tragen, sondern auch im Bestreben der Molkerei: Wie kann man Milch möglichst lange haltbar machen?

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Der Name Biedermann ziert weiterhin die Molkerei, auch nach der Übernahme durch die Emmi Gruppe. Foto: Noëlle Fivaz und Claudia Jutz.

Pius Biedermann blickt auf eine beeindruckende Karriere zurück, die von mutigen Entscheidungen und stetiger Weiterentwicklung geprägt war. «Manchmal frage ich mich, ob es reines Glück war. Ich hatte eine Idee, die ich umsetzen konnte, und ich hatte auch immer Mitarbeitende hinter mir, auf die ich mich zu 150 Prozent verlassen konnte», reflektiert Biedermann. Jetzt, da er alle seine Verpflichtungen abgegeben hat und sich zurücklehnen kann, möchte er seine Erfahrungen weitergeben. Vor allem die junge Generation möchte er motivieren: «Traut euch, wenn euch eine Idee wirklich packt, sie auch umzusetzen!»

Noëlle Fivaz und Claudia Jutz
Produktion im Rahmen eines Seminars am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW. © IAM / Historisches Museum Thurgau, 2024