«Wenn ich an die Braui denke, bin ich im Gefühls-Spagat»
Wo es einst in den Sudkesseln brodelte, erinnern heute nur noch die rote Backsteinfassade und der hohe Kamin an die Brauerei Bärlocher. Bis zum allerletzten Tag haben Elsi Bärlocher und ihr Mann viel Herzblut und Durchhaltewillen ins Weinfelder Brauhaus gesteckt.
Ganz losgelassen scheint Elsi Bärlocher bis heute nicht zu haben. So blickt sie nachdenklich auf die prägende Zeit als Mitinhaberin der Brauerei zurück. Foto: Laila Cavelti.
Verschiedenförmige Biergläser, ein Holzbrett mit Handwerkszeug und Messing-Zapfhähne: Was nach einem Ortsmuseum klingt, ist in Wirklichkeit der Eingangsbereich von Elsi Bärlochers Wohnung. Die Gegenstände wecken bei der ehemaligen Mitinhaberin der Brauerei Bärlocher in Weinfelden Erinnerungen und Wehmut zugleich: «Es ist ein Gefühls-Spagat.» Einerseits sei der Wunsch nach einem klaren Schnitt da, andererseits habe sie die Zeit in der Brauerei sehr geprägt.
In der Brauerei Bärlocher stand das Handwerk immer im Vordergrund: «In der Schweiz gab es nur zwei Fachleute, die unsere Maschinen von Hand revidieren konnten», sagt Elsi Bärlocher. Foto: Laila Cavelti.
Vom Brauhaus zum Wohnhaus
Heute wohnt die 71-jährige Thurgauerin gemeinsam mit ihrem Ehemann auf dem «Braui-Areal». Braukessel stehen dort aber keine mehr. Das ehemalige Sudhaus und das Maschinengebäude wurden zu Alterswohnungen und einer Tagesklinik umgenutzt. «Dass wir damit ein neues Projekt verfolgen, macht mich stolz», sagt Elsi Bärlocher.
Aufgrund fehlender Umsätze sah sich das Ehepaar im Jahr 2006 gezwungen, die Brauerei zu schliessen. Doch die Industriekultur lebt weiter. So setzten sich die Bärlochers beim Umbau dafür ein, die Fassade und den Kamin zu erhalten: «Dieser Ort bedeutet für uns Tradition und Familiengeschichte.»
Neuer Kern hinter alter Fassade: Das «Braui-Areal» wurde zu Alterswohnungen und einer Tagesklinik umgebaut. Foto: Laila Cavelti.
Ein Leben mit der Industrie
Während zehn Jahren ging Elsi Bärlocher in den 120 Jahre alten Gebäuden der Brauerei jeden Tag ein und aus. Obwohl sie ihren Weg zum Bierbrauen durch das Einheiraten eher zufällig fand, begleitete sie die Industrie ihr Leben lang. In Bürglen, wo Elsi Bärlocher aufwuchs, hatte die Textilindustrie eine grosse Bedeutung. Als Wirtstochter bediente sie im Restaurant am Mittag jeweils die Fabrikangestellten. Die Klassenunterschiede waren damals sehr dominant, erinnert sich Elsi Bärlocher: «Die Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter bekamen ihr Mittagessen aus dem ‹Chüngeligschirr›, während es für Kadermitglieder Plattenservice gab.»
Im Nachbardorf Weinfelden lernte Elsi Bärlocher dann ihren Mann Gebhard Bärlocher kennen. Dieser arbeitete zu jener Zeit als Bierbrauer im Familienbetrieb Brauerei Weinfelden. Schliesslich entschloss sich das Ehepaar im Jahr 1997, die Brauerei gemeinsam zu übernehmen und gleichzeitig den Familiennamen aufs Etikett zu schreiben.
Nähe zur Kundschaft: Segen oder Fluch?
Als zweitkleinste von 627 Schweizer Brauereien war die Brauerei Bärlocher von Anfang an nahbar. Viele Weinfelderinnen und Weinfelder identifizierten sich mit dem Betrieb, zumal die Bärlochers auch in regionalen Vereinen verwurzelt waren. «Die Leute lebten mit uns und mit dem Bier, viele haben unsere harte Arbeit geschätzt.» Die persönliche Beziehung zu den Kundinnen und Kunden habe aber auch bedeutet, dass man im Vergleich zu Grossbetrieben direkter konfrontiert wurde, wenn das Fass irgendwo überlief. «Es gab Momente, in denen ich gerne Frau Feldschlössli geheissen hätte», erinnert sich Elsi Bärlocher.
«Es gab Momente, in denen ich gerne Frau Feldschlössli geheissen hätte.»
Zum «Büetzen» war sie sich aber keineswegs zu schade. Im Gegenteil: In den schönen Sommermonaten nahm sie auch am Wochenende unzählige Anrufe entgegen, um bei spontanen Engpässen Harassen für die Sommerfeste nachzuliefern. Und am Montagmorgen begrüsste sie ihre Kundinnen und Kunden wieder in der «Trankstelle», dem Getränkemarkt, den die Familie nebenher führte, während ihr Mann im Sudhaus das Bier braute. Über 100 Biersorten aus aller Welt verkaufte Elsi Bärlocher dort, wobei nebst dem klassischen Lagerbier auch Spezialproduktionen wie das Weihnachtsbier im Regal standen. Auch die Geschenkkörbe waren sehr beliebt. «Vor allem Männer waren froh, wenn sie bei mir im Laden noch ein Last-Minute-Geburtstagsgeschenk fanden», meint sie lachend.
Der Handwerksstolz bleibt
Trotz vieler unbeschwerter Gespräche mit den Kundinnen und Kunden war es Elsi Bärlocher nicht immer zum Lachen zumute. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verlagerte sich das Familienleben immer mehr auf den Abend, und das gewohnte Feierabendbier in den Gaststätten der Region wurde daher seltener. Auch das steigende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung war einer der Gründe, weshalb die Brauerei Bärlocher zunehmend um ihre Kundinnen und Kunden kämpfen musste. Laut dem Schweizerischen Bierbrauerei-Verband sank der Bierkonsum pro Kopf zwischen 1990 und 2000 um 20 Prozent.
Die wohl einschneidendste Veränderung folgte im Jahr 2005, als die Alkoholgrenze im Strassenverkehr von 0,8 auf 0,5 Promille gesenkt wurde. Gerade im ländlichen Weinfelden war das Auto ein oft genutztes Verkehrsmittel. Nach der Gesetzesänderung mussten deshalb zahlreiche Restaurants den Betrieb schliessen, und so brach der Absatz der Brauerei Bärlocher um 40 Prozent ein. «Und trotzdem glaubt man fest ans Weitermachen, investiert viel Zeit, Freude, Emotionen», sagt Elsi Bärlocher. Letztlich seien es «viele kleine Mosaiksteine» gewesen, die zum Ertragsrückgang und damit zur Schliessung geführt hätten.
Die Etiketten und Bierdeckel der Brauerei Bärlocher überraschten oft durch ihre Kreativität: Ein befreundeter Künstler aus der Region entwarf die einzigartigen Motive. Foto: Laila Cavelti.
Durch die starke Verankerung der Brauerei in der Region stiess der Entscheid nicht bei allen auf Verständnis. Um den Arbeitsplatz musste sich aber niemand Sorgen machen. Elsi und Gebhard Bärlocher setzten sich dafür ein, dass alle neun Angestellten eine passende Anschlusslösung fanden. Und auch die Bärlochers selbst haben mit dem Umbau des Areals eine neue Aufgabe gefunden. Dass Elsi Bärlocher heute noch bekannte Gesichter auf dem Gelände sieht, freut sie sehr: «Das Areal lebt weiter und wir sind sozusagen immer noch mittendrin.»
Laila Cavelti und Fabienne Herzog
Produktion im Rahmen eines Seminars am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW. © IAM / Historisches Museum Thurgau, 2024
Quellenverzeichnis
- Schweizer Brauerei-Verband: Webseite.
- mte: Bier aus Weinfelden während 142 Jahren. In: St. Galler Tagblatt, 23. Juni 2014.
- Urs Maurer: 0,5 Promille sind genug. In: Swissinfo, 6. März 2003.
- Bundesamt für Statistik: Alkoholkonsum 2017.
- Erwin Schönenberger: Bier und Verkehr. In: St. Galler Tagblatt, 27. April 2005.
- Gabriela Meile: Bärlocher dreht den Hahnen zu. In: Thurgauer Zeitung, 12. Dezember 2006, S. 48.
- Martin Knoepfel: In den Kellern hats noch Vorrat. In: Thurgauer Zeitung, 2. Februar 2007, S. 46.
- Mario Testa: Bagger fahren bei der Braui auf. In: Thurgauer Zeitung, 23. Mai 2014, S. 43.