Vom Lastwagenmechaniker zum Gewerkschaftspräsidenten
Saurer ist Arbon, und Arbon ist Saurer. Aber Saurer ist auch Jacob Auer: Während vier Jahrzehnten arbeitete der gebürtige St. Galler im Maschinenbau-Unternehmen am Bodensee. Dank seines gewerkschaftlichen Engagements prägte er die Firma nicht nur in guten Zeiten entscheidend mit.
Trägt auch privat die Unia-Farbe: Jacob Auer in der ehemaligen Saurer-Fabrik. Foto: Evamaria Rist.
Jacob Auer war dafür bestimmt, bei Saurer zu arbeiten. «Ich war noch nicht mal in der dritten Sekundarstufe, da hatte ich schon meinen Lehrvertrag als Lastwagenmechaniker.» Sein Vater war Miteigentümer des Lastwagenunternehmens Emil Egger in St. Gallen. So war Jacob Auers Berufsweg schon vorgezeichnet. Die Arbeit als Mechaniker sei interessant, aber auch dreckig gewesen, erinnert er sich: «Im Gegensatz zu heute musste man damals noch unter die Lastwagen kriechen, um ein Problem zu finden.»
Die Saurer-Gruppe ist ein 1853 gegründetes Unternehmen aus der Ostschweiz. Ursprünglich eine Eisengiesserei aus St. Gallen, hat das Unternehmen mit dem Umzug nach Arbon 1869 mit der Produktion von Stickmaschinen begonnen. Während des Ersten Weltkriegs begann Saurer zudem mit der Produktion von Nutzfahrzeugen. Viele der schweizweit bekannten Postautos aus dieser Zeit stammen von Saurer. Erst in den späten 1980er-Jahren wurde die Fahrzeugproduktion wieder eingestellt.
Die Zeiten, in denen in diesem Büro Kommissionssitzungen stattfanden, sind vorbei. Foto: Rasmus Krones.
Während seiner Zeit bei Saurer arbeitete Auer in unterschiedlichen Abteilungen. So kam er über Schichtarbeit in der Produktionswerkstatt und einigen Jahren im Materialeinkauf zur Spedition. Eine Arbeit, die durch schubartige Arbeitsbelastung geprägt gewesen sei: «An manchen Tagen war sehr wenig los, etwa dann, wenn die Belegschaft mit dem Beladen der Lastwagen beschäftigt war.» Das war ideal für Auer, der als Präsident der Arbeitnehmervertretung von Saurer ruhige Tage nutzte, um beispielsweise Kommissionssitzungen einzuberufen. Damals war er Gewerkschaftsvertreter bei Saurer, mittlerweile ist er Unia-Präsident der Region Ostschweiz-Graubünden.
Meilensteine für die Arbeiterschaft
Auer vertritt die Ansicht, dass bei fehlerfreier Auftragserfüllung die Belegschaft das gleiche Anrecht auf einen Bonus hat wie die Chefetage. Deshalb versuchte er bei Saurer, bei erfolgreichen Geschäften Lohnerhöhungen oder Einmalzahlungen für die Arbeitnehmerschaft zu erzielen. Das sei ihm in der Regel gelungen, sagt er.
Das sei aber eine Errungenschaft der gesamten Gewerkschaft gewesen, erreicht durch den hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad: «Ein Arbeitgeber muss sich gut überlegen, wie er auf die Forderungen der Belegschaft reagiert, wenn 80 Prozent der Angestellten Teil der Gewerkschaft sind.»
Zu Auers Zeiten waren 80 Prozent der Belegschaft von Saurer Teil der Gewerkschaft. Foto: Rasmus Krones.
Nebst Lohnerfolgen entstand ausserdem ein neues Arbeitszeitmodell unter seiner Leitung. Grund war der Stickmaschinenmarkt, der sich wellenförmig entwickelte. Damals wurde alle vier Jahre eine Messe veranstaltet. Weil die Unternehmen dort immer neue Maschinen präsentiert hätten, habe es kurz vor der Veranstaltung fast keine Bestellungen gegeben, danach dafür umso mehr.
Das Modell ermöglichte es den Arbeitnehmenden, bis zu hundert Stunden ins Minus zu gehen, bei gleichen Bezügen. «So musste niemandem gekündigt werden und das Personal war trotzdem verfügbar, wenn es gebraucht wurde.»
Erfolge trotz Stellenabbau
Dennoch habe es Momente gegeben, in denen sich das Unternehmen gezwungen sah, Mitarbeitende zu entlassen. Auch da erfüllte Auer seine gewerkschaftlichen Standards und entwarf einen Sozialplan, der, wie er betont, bis heute die Basis für Sozialplan-Schulungen der Unia ist.
«Da gab es Abfindungen von bis zu 50’000 Franken.»
Seine Vorlage beinhaltete unter anderem variable Kündigungsfristen und einen Übergangsplan für allfällige Frührentner. Ebenso waren Umzugspauschalentschädigungen und Abfindungen pro Kind und Dienstjahr Teil des Sozialplans: «Da gab es Abfindungen von bis zu 50’000 Franken.» Später, als die entlassenen Personen älter wurden, setzte sich Auer erfolgreich für die Frührente ein. Er, der fast dreissig Jahre lang Vorsitzender der Saurer-eigenen Pensionskasse war, sagt heute: «Auch das sind Meilensteine gewesen.»
«Finanz-Haie aufgepasst»
Im Laufe der Jahre wollten viele Investoren Saurer übernehmen, immer wieder kam es zum Verkauf oder Verkaufsverhandlungen von einzelnen Abteilungen. Sogar hier konnte Auer dem Unternehmen seinen Stempel aufdrücken.
Macht der Worte: Dieser Flyer verhinderte 2006 eine Firmenübernahme. Foto: Rasmus Krones.
So ist ihm das Jahr 2006 besonders in Erinnerung geblieben, als der britische Hedge-Fonds Laxey Partners das Unternehmen übernehmen wollte. Man habe befürchtet, dass die Aktionäre nur eine kurzfristige Gewinn- und Liquidationsstrategie verfolgten. Deshalb habe ein damaliges Mitglied des Verwaltungsrats Auer und die Gewerkschaft gebeten, sich gegen die Übernahme zu wehren. Dass sich die Führungsetage direkt mit einer solchen Bitte an den Gewerkschaftschef wendet, ist erstaunlich, zeigt es doch den Einfluss Auers und der Gewerkschaft bei Saurer auf.
Die Bitte um Widerstand wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn Auer war bereit: Er hatte bereits unzählige Flugblätter gedruckt mit der Aufschrift «Finanz-Haie aufgepasst: Flossen weg von Saurer». Diese verteilte die Gewerkschaft vor der Versammlung an die damaligen Aktionäre. Die Aktion habe zu einem Aufstand geführt, die britischen Investoren seien empört gewesen, erinnert sich Auer mit einem Lächeln. Die Übernahme fand unter anderem deshalb nicht statt.
Ein Jahr später wurde Saurer eine Tochtergesellschaft des Unternehmens OC Oerlikon. Nur knapp sechs Jahre später übernahm dann die chinesische Jinsheng-Gruppe die Stickmaschinenproduktion, und damit auch Saurer, von OC Oerlikon. Mittlerweile ist die gesamte Produktion aus Arbon ausgezogen.
Mittlerweile werden hier keine Stickmaschinen mehr produziert: Eine Halle der ehemaligen Saurer-Fabrik. Foto: Evamaria Rist.
Der Hauptsitz der Firma, welche die Gemeinde am Bodensee so sehr prägte, liege nur noch wegen der günstigen Handelsbedingungen in der Schweiz, sagt Auer. Dank seines Engagements und seiner Gewerkschaft wurde der Schlag der Deindustrialisierung in Arbon etwas gemildert.
Rasmus Krones und Evamaria Rist
Produktion im Rahmen eines Seminars am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW. © IAM / Historisches Museum Thurgau, 2024
Quellenverzeichnis
- Saurer Museum am See, Museumswebseite.
- Saurer, Firmenwebseite.
- Unia: Beschäftigte und Gewerkschaft Unia fordern Aktionäre auf, die Attacke der «Finanz-Haie» abzuwehren, Medienmitteilung vom 11. Mai 2006.
- dsc: Saurer-Imperium mit Wurzeln in St. Georgen. In: St. Galler Tagblatt, 26. Juli 2011.
- Sabine Schifferdecker: SP tritt mit Jacob Auer zu den Stadtratswahlen an. In: St. Galler Tagblatt, 6. November 2010.
- Remo Fischbacher: Herzinfarkte, eine Fussamputation und eine Nierentransplantation. Der Arboner Köbi Auer steht nun auch beruflich vor dem Nichts. In: Thurgauer Zeitung, 12. Mai 2022.
- Thurgauer Zeitung: Grossratswahlen 2024: Jacob Auer stellt sich vor im Hinblick auf die Thurgauer Wahlen. In: Thurgauer Zeitung, 11. März 2024.