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«Diese Firma hat mich einfach nicht mehr losgelassen»


Die Kuhn Mühlen- und Maschinenbau AG aus Bottighofen hat eine bewegte Geschichte. Werkstatt-Chef Anton Stachel hat das meiste davon miterlebt. Den Untergang des Unternehmens konnte aber auch er nicht verhindern. Die Geschichte einer Firma, die dem Wandel der Zeit unterlag.

Bild1 Anton StachelAnton Stachel in seinem Giebelhaus in Bottighofen. Foto: Julian Blatter.

Anton Stachel sitzt an seinem Küchentisch in einem alten Giebelhaus in Bottighofen. Das Haus hat er Ende der 1970er-Jahre der Familie Kuhn abgekauft. «Für mich war das perfekt», sagt Stachel, liegt das Haus doch nur einen Steinwurf vom Standort seines damaligen Arbeitgebers entfernt.

«Ich gehe gleich weiter, zu einer der anderen Firmen.»

Der heute 78-Jährige bewarb sich 1966 bei der Kuhn Mühlen- und Maschinenbau AG, an das Bewerbungsgespräch erinnert er sich noch gut. 6.20 Franken pro Stunde habe er verlangt, «das war damals viel Geld in dieser Branche», so Stachel. Der durchschnittliche Stundenlohn in der Metall- und Maschinenindustrie betrug gemäss Zahlen des Projekts «Historische Statistik der Schweiz» 1966 etwa 5.60 Franken. Auf Verhandlungen wollte sich der Mechaniker aber nicht einlassen, denn zu jener Zeit gab es rund um Bottighofen mehrere Mühlenbau-Unternehmen. «Ich gehe gleich weiter, zu einer der anderen Firmen», habe er dem damaligen Geschäftsführer Ernst Kuhn im Gespräch offen gesagt.

Kuhn lenkte ein und erfüllte Stachels hohen Lohnwunsch. Da die restlichen Mitarbeiter alle weniger Geld verdienten, entschied sich der Geschäftsführer, im selben Schritt auch ihren Lohn auf Stachels Salär anzuheben. Das Wagnis des Geschäftsführers ging auf, Stachel arbeitete sich innert kürzester Zeit zum Vorarbeiter hoch und leitete fortan die Werkstatt-Abteilung.

Bild2 Anton StachelBlick auf die Firma Kuhn Mühlen- und Maschinenbau AG. Foto: Anton Stachel.

Ein soziales Unternehmen

«Diese Firma hat mich einfach nicht mehr losgelassen», sagt Anton Stachel – auch weil man sich hier immer gut um die Mitarbeitenden gekümmert habe. Entstand am Ende eines Geschäftsjahrs ein Gewinn, bezahlte das Unternehmen Teile davon in eine eigene Stiftung ein. Deren Zweck war vergleichbar mit der heutigen Pensionskasse. «Wurde jemand pensioniert, so erhielt dieser quasi eine Pension aus der Stiftungskasse», sagt Stachel. Und das auf freiwilliger Basis, denn das Drei-Säulen-System wurde erst 1985 eingeführt.

«Half ich an einem Dorffest, war ich meistens der Einzige, der dafür keine Ferien beziehen musste.»

Auch sonst zeigte sich die Firma arbeitnehmerfreundlich. So konnten die Mitarbeitenden beispielsweise für Freiwilligenarbeit im Dorf zusätzliche bezahlte freie Tage beziehen. «Half ich an einem Dorffest, war ich meistens der Einzige, der dafür keine Ferien beziehen musste», sagt Stachel.

Die Mühlen mahlten immer gleich

So fortschrittlich der Betrieb im sozialen Bereich war, so engstirnig war man gegenüber technischen Neuerungen. Als beispielsweise die manuelle Durchmischung des Mahlguts vermehrt von Maschinen übernommen wurde, musste der Mühlenbauer auch dafür ein eigenes System entwickeln. Statt eines Mischers am Boden setzte die Kuhn Mühlen- und Maschinenbau AG auf eine Schneckenvorrichtung, die das Mahlgut nach oben befördert und dabei vermischt.

Bild3 Anton Stachel
Anton Stachel bei der Arbeit in der Werkstatt der Firma Kuhn. Foto: Anton Stachel.

Das System habe zwar funktioniert, aber die Leistung liess Stachel und der Kundschaft zufolge zu wünschen übrig. Das Schneckensystem beförderte zu wenig Mahlgut, weshalb Stachel an der Seite der Schnecke kleine Ränder installieren wollte. Als er seine Idee umzusetzen versuchte, geriet er mit Arnold Kuhn, einem der Geschäftsführer und Sohn des inzwischen verstorbenen Ernst Kuhn, verbal aneinander. Dieser verstand nicht, weshalb Stachel eine funktionierende Anlage verbessern wollte. «Er hatte von der Produktion keine grosse Ahnung», sagt Stachel. Nach einigem Hin und Her durfte er das System dann doch verbessern, aber er wusste, dass es mit dieser Einstellung schwierig würde, auf dem umkämpften Markt zu bestehen.

Zur Firmenpleite der Geldsegen

Stachel sollte recht behalten. Der Mühlenbau entwickelte sich Ende der 1980er-Jahre rasant, die Maschinen wurden immer komplexer, die Automatisation hielt Einzug. Die Firma Kuhn schaffte es nicht, Schritt zu halten. «Wir sind stehen geblieben», sagt Stachel. Als Konsequenz gingen immer mehr Aufträge an die Konkurrenz, die finanzielle Lage verschlechterte sich. Auch ein Zusammenschluss mit einem ebenfalls finanziell angeschlagenen Konkurrenten aus dem bernischen Lyss konnte das «logische Ende» nicht verhindern. Als Stachel 1995 wegen ausstehender Rechnungen kein Material mehr bestellen konnte, schlug er an einer morgendlichen Sitzung der Geschäftsleitung vor, Konkurs anzumelden. Dann ging alles ganz schnell: «Am selben Nachmittag tauschte das Konkursamt die Schlösser aus», erinnert sich Stachel.

Bild4 Anton StachelWo einst an Mühlen geschraubt wurde, werden heute Haar- und Körperpflegeprodukte hergestellt. Foto: Julian Blatter.

Übrig blieb nur die eigens angelegte Stiftung für die Pension der Mitarbeitenden. Auf ihrem Konto lagen Stachels Erinnerung zufolge gut 300'000 Franken, die bei der Firmenauflösung unter den noch verbleibenden Mitarbeitenden nach Dienstjahren und Lohn aufgeteilt wurden. 56'000 Franken habe er erhalten, sagt Stachel. Auch dank diesem Zustupf konnte er zusammen mit seinem Bruder die verbliebenen Gerätschaften der Firma Kuhn für rund 70'000 Franken aufkaufen. So gründete er in der Werkstatt seines Hauses ein Einzelunternehmen, das sich vorwiegend um die Reparatur bestehender Mühlen kümmerte.

Bild5 Anton StachelAuch Jahrzehnte nach der Firmenpleite sind die Maschinen von damals von Zeit zu Zeit noch in Betrieb. Foto: Florian Zwahlen.

Die Maschinen der Firma stehen heute noch in der Werkstatt des alten Giebelhauses herum. Seine Arbeit hat Stachel im Jahr 2011 zwar niedergelegt, loswerden will er die Maschinen aber nicht. «Heute repariere ich zwar keine Mühlen mehr, doch für meine eigenen Projekte kann ich die Maschinen immer noch gebrauchen.»

Florian Zwahlen und Julian Blatter
Produktion im Rahmen eines Seminars am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW. © IAM / Historisches Museum Thurgau, 2024