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Auf Kufen von Tuchschmid durch Grönland


Die Frauenfelder Stahlunternehmer Jakob und Dorothee Tuchschmid schenken ihrem Enkel 1963 auf den elften Geburtstag ein Buch über grosse Polarforscher. Darin eingeklebt: Die Fotographie eines Aluminiumschlittens der Gebrüder Tuchschmid in Grönland. Zwei solcher Hundeschlitten leisten auf der Schweizerischen Grönlandexpedition 1938 gute Dienste, wie der Bericht eines Expeditionsteilnehmers verrät.

Schlitten Tuchschmid Text

Nachdem Anfang des 20. Jahrhunderts die Alpen erschlossen scheinen, wendet man sich den letzten weissen Flecken auf der Weltkarte zu. Auf den Spuren des Schweizer Arktisforschers Alfred de Quervain macht sich eine siebenköpfige Expedition des Akademischen Alpenclubs Zürich 1938 auf nach Grönland. Hauptziel der Reise ist die Bestimmung und Vermessung des höchsten Punktes. Diese alpinistische und wissenschaftliche Erforschung ist auch ein Wettrennen zwischen den Nationen:

«Es wäre bedauerlich gewesen, wenn […] bei der Erforschung dieses Gebietes fremde Nationen der Schweiz, dem klassischen Land des Alpinismus, den Rang abgelaufen hätten.»


Die Vorbereitung der Expedition dauert drei Monate, die gesamte Ausrüstung stammt aus Europa: «Nicht weniger als drei Tonnen Kisten und Koffern wurden an Bord unseres Islanddampfers verladen. Viele Ausrüstungsgegenstände und Nahrungsmittel waren uns von Clubfreunden und Industriellen unentgeltlich überlassen worden.» Zur Tagesration der Teilnehmer gehörte nebst 200 g Pemmikan (Dörrfleisch) unter anderem 113 g Butter, 150 g Schokolade (Suchard) und 50 g Maggi-Erbsmehl.

Herzstück der Ausrüstung sind zwei Schlitten der Frauenfelder Stahlbaufirma Tuchschmid: «Grosse Bewunderung erregen unter den Eskimos* die Prunkstücke unserer Ausrüstung: die zwei in der Schweiz gebauten, etwa dreieinhalb Meter langen Aluminiumschlitten. Sie werden uns während der ganzen Reise getreulich begleiten.» Obwohl während der Expedition grosse Teile der Ausrüstung und Nahrungsmittelvorräte in Depots zurückgelassen werden müssen, werden die Schlitten stark beansprucht: «Trotzdem hat von nun an jeder unserer beiden Schlitten eine Belastung von mehr als 300 kg zu tragen. Es ist ein glänzendes Zeugnis für die Qualität schweizerischer Arbeit, dass sie trotz dieser unerhörten Überbelastung (sie war nur auf 120 kg berechnet) und schwerstem Gelände bis zum Schlusse durchhielten.»

Ein Bärenkopf als Andenken

Eines Tages erhalten die Expeditionsteilnehmer ungebetenen Besuch: «In unserer Abwesenheit hat ein Eisbär unserem Lager einen kleinen Besuch abgestattet. […] Mit Hilfe der Hunde gelingt es […] nach stundenlanger Verfolgung den Bären in der Ostwand des Mont Forel zu stellen, und mit sechs Schüssen aus unserer einzigen Waffe, einem kleinen Trommelrevolver, zu erledigen. Das frische, nahrhafte Eisbärenfleisch bildet eine hochwillkommene Nahrung für Menschen und Hunde.» Das Eisbärenfell wird als Trophäe mitgeführt; auf der Fotographie ist der Kopf des Bären zu erkennen.

Die Schlitten halten der ständigen Belastung nicht mehr stand: «[U]nsere Aluminiumschlitten sind bös mitgenommen und werden wohl nicht mehr manche Tagreise aushalten. Schon bald hält uns die Reparatur einer völlig entzwei gebrochenen Kufe fast zwei Stunden lang auf.» Schliesslich brechen die Schlitten entzwei und können auch mit Ski und Bergseilen nicht mehr geflickt werden. Die Lasten müssen auf dem Rücken zurück zum Meer getragen werden. Im September 1938 findet die Expedition ein erfolgreiches Ende, die Tuchschmid-Schlitten bleiben jedoch im ewigen Eis.

Die Zitate stammen aus dem Reisebericht «Schweizerische Grönlandexpedition 1938» des Expeditionsteilnehmers Karl Baumann, der 1939 im Jahrbuch «Die Alpen – Les Alpes» vom Schweizer Alpen-Club SAC erschienen ist.


*Die Bezeichnung «Eskimo» entstammt dem Originaltext von 1939; der Begriff steht aus heutiger postkolonialer Sicht in der Kritik, weil er mit negativen Assoziationen behaftet ist, die hier nicht übernommen werden sollen.